Der Traum

Eigentlich habe ich schon seit meiner Kindheit immer davon geträumt, einen Volvo P 1800 ES zu besitzen. Mal mehr, mal weniger intensiv. Die Wurzeln dieser Leidenschaft reichen in die frühen 70er Jahre zurück, als das Straßenbild in der Gegend, in der wir damals wohnten, primär von VW-Käfern, einstellig nummerierten Renaults (4, 6, 8) und wenigen etwas größeren Limousinen wie dem Ford Taunus oder dem Opel Rekord geprägt war. Es war just die Großmutter eines Schulfreundes, die einen Volvo P 1800 ES fuhr, der dann und wann vor der Schule zu sehen war. Form und Farbe haben sich bei mir jedenfalls eingeprägt. Speziell das eigenwillige Heck mit der großen, rahmenfreien Fensterklappe – das hatte was. Eine solche Farbe wie das eisblau-metallic des Volvo hatte ich bei den VWs und Renaults in unserer Gasse auch noch nicht gesehen.

Nun verblassen die Bilder aus der Kindheit mit den Jahren, die Schneewittchensärge waren in Europa ja nun auch nicht gerade ein überwältigender Verkaufsschlager und überhaupt waren Autos in meiner Prioritätenskala auch sehr lange eher in den unteren Rängen angesiedelt. Bis ich eines Tages, dem Schulalter mittlerweile ein wenig entwachsen, eher zufällig eine Oldtimerzeitschrift in Händen hatte. Das Magazin zeigte eine recht ordentliche Aufstellung von Fahrzeugen aus den 60er und 70er Jahren mit aktuellem Handelswert.

Eine Art Zeitreise begann. Da waren sie auf einmal wieder, die VWs und Renaults, die Opels und Fords meiner Kindheit. Und – der Volvo P 1800 ES. Von rechts hinten fotografiert, schwarz/weiß, aber immerhin. Irgendwie reifte in den nächsten Wochen ein gewisser Reiz zu sehen, wie einfach oder schwierig es wäre, sich so einen Volvo zuzulegen. An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Oldtimer besessen hatte. Die Suche nach einem P 1800 ES war für mich daher so etwas wie eine Reminiszenz, einer jener Träume, von denen man zunächst irgendwann lässt, weil sie unerfüllbar scheinen und später, weil die Vernunft die Leidenschaft besiegt. Mit einem Mal kehrten unvermutet Erinnerung und Leidenschaft zurück und machten sich auf die Suche. Mid-Life Liebe, quasi.

Der Gedanke reift


Von Anfang an war klar, dass für mich generell nur gut erhaltene Fahrzeuge in Frage kommen, für Restaurationsobjekte fehlen mir Zeit und Platz. Ein Jahr lang hat die Suche nach dem passenden Schneewittchensarg dann letztlich doch gedauert. In Turku, im Süden Finnlands, wurde ich fündig, und das kitschigerweise ausgerechnet kurz vor Weihnachten. Auf nach Finnland also, ansehen und probefahren.

Ein paar Volvos hatte ich zu dem Zeitpunkt schon besichtigt und ausprobiert. Ich kannte das Gefühl also grundsätzlich schon, das sich breit macht, sobald der Zündschlüssel umgedreht ist. Auf Schneefahrbahn mit Heckantrieb und Sommerreifen zu driften, gepaart mit der immer noch mangelnden Erfahrung im Umgang mit dem Fahrzeug, hatte mit den bisherigen Schönwetter-Kurzprobefahrten allerdings wenig gemeinsam.

Auf der glatten Fahrbahn in Finnland hielt sich der Spaßfaktor vor allem wegen der unpassenden Bereifung daher in Grenzen. Das Auto selbst präsentierte sich in einem sehr guten Zustand, der Lack war wie neu, sauber gearbeitet, auch in Falze, Innenräume, etc. aufgebracht. Es benötigte auch gerade mal zwei Startversuche und der Motor war da, lief sauber und ruhig. Auch konnte ich keine Spuren von Rost oder Flüssigkeitsverlusten erkennen, was meine Stimmung stark in Richtung 'ja - ich will' brachte.

Kurzum, ich habe den Volvo damals gekauft und nach Österreich gebracht. Meine Expertise über den Wagen war weitgehend korrekt, bis auf eine funktionslose Bremse am Hinterrad, die mir auf dem rutschigen Terrain im Finnland bei der Probefahrt nicht weiter aufgefallen war.

Der Fahrbetrieb

Der P1800ES ist an sich gutartig im Fahrbetrieb, einmal von Einpark- oder anderen Manövern abgesehen, die bei geringer Geschwindigkeit beherzte Tätigkeit am Lenkrad erfordern. Die Sitzposition ist einem Sportwagen entsprechend sehr tief, aber bequem. Dafür sorgen vor allem die ergonomisch gestalteten Sitze mit der hochgezogenen Lehne. Der Blick durch die niedrige Frontscheibe bildet einen interessanten Kontrast zum Blick in den Rückspiegel durch die große Heckscheibe. Die Sicht ist durchwegs OK, die Pedalerie für mäßig groß Gewachsene gut erreichbar, die Hebel und Schalter alle annähernd da, wo man sie vermuten würde. 

Mittlerweile haben wir schon ein paar tausend Kilometer mit unserem Schneewittchensarg zurückgelegt, der Volvo und ich sind inzwischen gute Freunde. Er fährt sich nach wie vor problemlos, eine Handwäsche ab und an, alle zwei Jahre ein Service anlässlich der fälligen Überprüfung, das war's. Der P 1800 ES gilt allgemein als sehr robust, was Motor, Getriebe und Fahrwerk betrifft. Nach meinen bisherigen Erfahrungen kann ich dies bestätigen. Die gesamte Technik ist gut im Schuss, lediglich der Verbindungsschlauch vom Tank zur Benzinpumpe ist einmal während der Fahrt geplatzt. Das hat zwar für eine ordentliche Benzinspur auf der Straße und entsprechende Geruchsentfaltung im Fahrzeug gesorgt, war aber rasch und einfach zu beheben.

Das Fahrwerk ist recht straff, der Motor ein brummiger Geselle, der sich dank Overdrive in Sachen Geräuschentwicklung bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 120 aber durchaus zurückhält. Die Trinksitten des 2.0 Liter Vierzylinder Motors bewegen sich für ein Auto Baujahr '72 auch in erträglichem Rahmen. Etwa 10 Liter Super genehmigt sich der Volvo überland, bleifrei, weil er als kanadisches Modell diesen Sprit schon in den 70ern verabreicht bekam und der Motor für die Überseemodelle entsprechend ausgelegt wurde. Choke gibt's keinen, die Spritzufuhr wird von einer Bosch Jetronic geregelt, die auch im Kaltlauf gute Dienste verrichtet.

Echtes Sportwagengefühl mag beim Fahren allerdings nicht recht aufkommen. Dafür ist der Motor doch zu träge. Ich würde die Fahrt im P 1800 ES eher als eine angenehme Fortbewegung mit Staun-Faktor am Straßenrand bezeichnen.

... ein paar Jahre, Kilometer, Freuden und Probleme später

Mittlerweile besitzen wir unseren Volvo seit einigen Jahren. Neben den Ausfahrten an schönen Wochenenden in der warmen Jahreszeit haben wir auch einige Erfahrung auf Oldtimer-Rallyes gesammelt. Der Volvo ist dafür insoferne gut geeignet, weil er wendig und übersichtlich ist, anders als beispielsweise unser Mercedes oder der Jaguar. Große Erfolge haben wir trotzdem nicht viele aufzuweisen, liegt aber weniger am Auto.

Unterwegs hat sich der Volvo seit dem geplatzten Benzinschlauch vor ein paar Jahren keinen Ausfall mehr erlaubt. Sukzessive wurde dann allerdings doch ein größerer Eingriff erforderlich, zu dem wir uns irgendwann entschliessen mussten, wenn der Wagen nicht dem kontinuierlichen Verfall preisgegeben werden sollte.
Zunächst war da der Overdrive, der beim ersten Einschalten nach dem Start immer bestens funktioniert hat, im Verlauf einer Fahrt aber auf Ein- / Ausschaltsequenzen nur mehr mit großer zeitlicher Verzögerung reagieren mochte. Letztlich eine einfache Sache, es war schlicht zu wenig Öl im Getriebe.
Dann hat sich die Bremse wieder festgefressen. Im Grunde dasselbe Problem, das schon unmittelbar nach dem Kauf aufgetreten war. Als Ursache haben sich nach eingehender Befragung von Experten die hinteren Bremsschläuche entpuppt, die offenbar zur Verstopfung neigen. Die Reperatur war zum Glück weder von der Arbeit noch vom Finanziellen besonders aufwändig.
Der Auspuff ist irgendwann an der Schnittstelle zwischen Verbindungsrohr und hinterem Topf durchgerostet und gerissen. Auch keine große Geschichte, außerdem hatte der Volvo zumindest bis zur Reparatur des Defekts einen überaus kernigen Sound. Der entschädigt gewissermaßen.

Das mit Abstand größte Übel war allerdings der Feind aller älteren Fahrzeuge, die braune Pest. Bei unserem Volvo hat sich der Rost über die Jahre an den hinteren Radkästen eingenistet. Das Blech ist dort doppelt ausgeführt, was dem Rost entsprechende (Hohl-)Räume zur diskreten Ausbreitung bietet. Blasenbildung unter dem Lack waren die ersten Anzeichen, später war der Rost an den Kanten der Radkästen bereits deutlich sichtbar. Bei genauerer Analyse waren dann zusätzlich schon ein paar Löcher in den Kotflügeln Richtung Fahrgastraum festzustellen. Auch die Aufnahme der hintersten Auspuffschelle war praktisch verfault. Zusammengefasst lautete der Befund: Rost am gesamten Hinterwagen im fortgeschrittenen Stadium.

Die Vernunft rät in solchen Fällen zum raschen Verkauf, bevor es endgültig zu spät ist. Die Emotion mag da nicht so recht mitziehen, schon gar nicht beim ersten Oldtimer. Ist schließlich was Besonderes. Nicht, dass dies für unsere anderen Autos nicht auch gelten würde, lediglich die Argumente sind dort anders gelagert. Als Alternative drängt sich somit die (Teil-)Restauration auf. Was unbedingt zu machen war, stand spätestens nach einem halben Tag auf der Hebebühne fest. Die bange Frage blieb allerdings, wie weit und tiefgreifend vorgegangen werden musste. Hier ist die Emotion in der Regel ein schlechter Ratgeber, denn sie neigt zum Frame-Off Ansatz - wenn ich schon mal dabei bin, bau ich gleich das ganze Auto neu auf.
Dies ist ein guter Zeitpunkt mal die Vernunft zu befragen. Wenn die nicht (mehr) abrufbar ist, bieten (Ehe)Partner(innen) erfahrungsgemäß mindestens gleichwertigen Ersatz. Wir haben uns für neue Bleche an den sicht- bzw. tastbaren Stellen und die erforderliche Teillackierung entschieden. Concours-Zustand hat unser Volvo damit nicht erreicht, kann sich aber - auch auf der Hebebühne und mit Schraubenzieher bewaffnet - wieder sehen lassen.

Die Freude am restaurierten Fahrzeug ist groß, auch wenn die Verbesserungen nur von außen wahrnehmbar sind.

2018 haben wir unserem Volvo dann doch eine komplett neue Lackierung angedeihen lassen.

In der Rubrik Fotos ist unser Volvo "danach" optisch zu bewundern.

Abschied vom Schneewitchen...

Wir haben uns mittlerweile von unserem Volvo getrennt und dieser hat nun seit Sommer 2019 neue Besitzer. Und mit diesen ist unser Schneewittchen schon auf großer Fahrt von Hamburg in die Provence und zurück unterwegs und bereitet ihnen viel Freude.
Wir haben uns zwar von unserem Schneewitchensarg getrennt, jedoch im Zuge dessen neue Freunde in Deutschland gefunden :-))).