Ein Garagenfund - oder so

Die Geschichte unseres größten und luxuriösesten Oldtimers beginnt mit seiner Erstauslieferung in der Schweiz im August 1970. Als Besonderheit wird unser Mercedes 300SEL 6.3, damals mit etwa 40.000 DM eine der teuersten, durch seine Motorisierung auch noch einer der schnellsten Serienlimousinen, in der Farbe moosgrün metalic mit einer Innenausstattung in Leder Dattel ausgeliefert. Der Wagen verblieb nicht lange im Erstbesitz, wurde bereits 1972 nach Österreich importiert. Hier war er erst auf eine Firma in Wien zugelassen, wechselte aber mit Beginn der Ölkrise 1974 in Privatbesitz. In der Folge wurde das Auto auf verschiedene Namen immer wieder für wenige Jahre an- und abgemeldet, bis ihm schließlich vor ein paar Jahren Kenner und Gönner eine Generalsanierung angedeihen liessen. Dabei wurde der Wagen neu lackiert und die Technik incl. Luftfederung überarbeitet. Danach wurde das Auto in einer Garage trocken abgestellt.

Als ich den 6.3er zum ersten Mal sah, war ich nur bedingt begeistert. Erstens war das Auto äußerlich ziemlich verstaubt, innen löste sich der Himmel aus der hinteren Fensterdichtung, die Fensterheber waren ausgebaut, die Scheinwerfertöpfe müde, die Chromstoßstangen vorne schon einigermaßen ermattet und die Fensterdichtungen hatten allesamt auch schon bessere Zeiten gesehen. Außerdem passte für mich das elfenbeinfarbene Lenkrad nun so gar nicht zur Innenausstattung, die außer dem Himmel nichts Weißes aufzuweisen hatte. Zugegeben, Geschmackssache, aber die spielt bei emotionalen Käufen, wie dem eines 6.3, nun mal eine nicht unwesentliche Rolle.

Weil aber bei einer Investition in einen 6.3er dringend auch der Kopf gefragt ist, hörte ich mir die Argumente des Verkäufers, der den 6.3er bereits seit dessen Import nach Österreich zu kennen schien, zumindest einmal an. Ungeschweißt und rostfrei also, hm. Kann das überhaupt sein, nach 35 Jahren in unseren Breiten? Ja, es ist so. Unser 6.3er hat tatsächlich noch kein Schweißgerät gesehen, ist rostfrei und technisch gut überarbeitet worden. Die Luftfederung hält über Monate - habe mal über den Winter versehentlich vergessen die Ventile zu sperren, der Wagen war auch im Frühjahr noch nahezu auf Niveau. Auch die Zentralverriegelung ist dicht, hält und funktioniert mit der angemessenen Bedächtigkeit einer Unterdruck-ZV. Servolenkung, Schiebedach, Fensterheber, Klimaanlage alles OK.

Ich konnte das erst gar nicht glauben, unter all dem Staub. Aber der Mechanikermeister in der Rolle des Verkäufers versicherte mir, dass die erforderlichen Arbeiten für den Könner ein Klacks wären und in wenigen Tagen ein astreiner 6.3er vor mir stehen könnte. Von der technischen Funktion überzeugte ich mich bei einer Probefahrt. Die Automatik schaltete nach dem Warmlauf angenehm weich, die Gasannahme war gut und der Schub reichlich, ohne dass ich den KickDown bemühen musste. Die Elektrik war in allen Belangen voll funktionstüchtig, die Innenausstattung freundlich patiniert und unbeschädigt.

Deal. Ich erwarb den Mercedes nach seiner Überarbeitung mit der Zusicherung des Verkäufers, sich auch künftig um den 6.3er kümmern zu wollen. Er steht bis heute zu seinem Wort und das ist gut so. Der 6.3er braucht im Fall des Falles eine kundige Hand, wie ein Defekt an der Servolenkung schon mal gezeigt hat.

Auf der Autobahn

Die wahre Heimat des 6.3 ist die Autobahn. Auch unter den heutigen Verhältnissen und gemessen am modernen Straßenverkehr ist man mit dem Wagen auf der Autobahn immer noch vorne mit dabei. Dies gelingt, nebenbei bemerkt, völlig unaufgeregt. Der 8 Zylinder hängt gut am Gas, bietet zu jedem Zeitpunkt ausreichend Reserven und lässt sich daher stressfrei chauffieren. Irgendwelche Duelle mit kleineren oder größeren Vertretern der automobilen Neuzeit sind ökonomisch betrachtet nicht besonders sinnvoll und für mich auch stilistisch fehl am Platz. Es ist die gepflegte Art der Fortbewegung, das edle Reisen, das für mich den besonderen Charme des 6.3 ausmacht. Wenn es sein muss, lässt sich mit einem KickDown immer noch zusätzlich Leistung abrufen. Dies geschieht im Ernstfall mit einem laut-heißeren Fauchen aus der Motorhaube und einer schwarzen Wolke, die sich im Rückspiegel sehr rasch entfernt.

Soweit so gut und auch bekannt. Wie steht's mit den Unsitten, die dem 6.3er ebenfalls nachgesagt werden? Nun, wer möchte, kann sich denen gerne ausliefern. Ein etwas ambitionierterer Druck aufs Gaspedal reicht selbst bei mäßiger Geschwindigkeit auf feuchter oder nasser Fahrbahn am Ausgang von engen Kurven, um kurz mal das Heck seitlich ein wenig näher ran zu holen. Ausfahrten aus Kreisverkehren sind für solche Kunststücke beispielsweise überaus empfehlenswert. Man kann auch die Automatik und sich selbst nerven, in dem man im kalten Zustand den Wagen nicht allzu schnell bewegt und nur mäßig beschleunigt. In solchen Situationen schaltet die Automatik zunächst nicht, die Drehzahl steigt hörbar. Dafür sollte man sich im Geradeauslauf befinden, wenn der Gangwechsel schließlich erfolgt. Da zeigt die 6.3 Automatik dann recht rauhe Seiten.

Und dann war da noch die Sache mit der Tankstelle. Ja, der 6.3 braucht ordentlich Sprit. Nach meiner Erfahrung sinkt der Verbrauch auf der Autobahn ohne Klimaanlage im Geschwindigkeitsbereich zwischen 120 und 140 auf etwas unter 20 Liter. Die in Berichten da und dort dargestellten Extreme von 15 bis deutlich über 25 Liter kann ich bisher nicht nachvollziehen. Mit Klimaanlage und Mischbetrieb Landstraße - Autobahn komme ich auf etwa 22 Liter bei zügiger Fahrweise. Von Fahrten in die Stadt nehme ich aus Gründen des Spritverbrauchs und Sorge um geeignete Parkplätze in der Regel Abstand.

Derselbe Wagen, ein paar Jahre später ...

Unser 6.3 ist immer noch hervorragend in Schuss. Nach wie vor funktionieren alle Aggregate, ohne dass sie besonderer Zuwendung in den letzten Jahren bedurft hätten. Die Liste der inzwischen aufgetretenen Mängel ist durchaus überschaubar.
Zunächst hat einmal das Schiebedach schlapp gemacht. Nach einem kurzen, aber schmerzhaft emfpundenen Knacken ließ sich das Dach weder weiter öffnen noch wieder schließen. Zu vernehmen war nur noch der Antriebsmotor, der unbelastet seinen Dienst verrichtete. Eine Reparatur ohne den Himmel abzunehmen ist eine Angelegenheit für Uhrmacher bzw. Personen mit schlanken Händen und großem Geschick. Wir haben dankenswerterweise so jemanden gefunden. Das Dach funktioniert nun wieder, mag es aber nicht mehr besonders, wenn man nach erfolgtem Schließen den Schalter weiterhin beliebig lange drückt.

Eine kontinuierliche Quelle schleichenden Unbehagens war die alljährliche Wiederbelebung unseres Mercedes nach seinem Winterschlaf, den er je nach Wetterlage gewöhnlich zwischen Mitte Oktober und Anfang Mai verbringt. Konkreter Anlass für das mangelnde Wohlbefinden war die ewig jammernde bis kreischende Servolenkung. Ein Phänomen, das sich regelmäßig über die kalte Jahreszeit eingestellt hat. Auslöser der Geräuschentwicklung ist Luft, die von der Servopumpe angesaugt wird. Die Ursache dafür lag in einem Haarriss der Servopumpe. Hat ein wenig gedauert bis wir den Fehler final identifizieren konnten, weil auch eine Dichtung an der Pumpe regelmäßig nach dem Winter ihrer Funktion nur noch bedingt nachkam. Nach dem Tausch der Pumpe und dem Einbau einer Dichtung, die den Namen auch verdient, macht auch das Aufwecken nach dem Winter wieder Spaß.

Inzwischen haben wir etwas mehr als 10000 weitgehend problemlose Kilometer absolviert, allesamt im Genuß sämtlicher Annehmlichkeiten, die der Mercedes nun mal zu bieten hat. Selbst auf ein paar Oldtimer-Rallyes war uns der 6.3 schon ein verlässlicher Begleiter. Während vor allem die zahlreich vertretene UK-Roadster Fraktion in den MGs, TR3s und Healeys zwischen Sonnenbrand und dem zwischendurch erforderlichen Verdeckschließen leiden musste, konnten wir nach Bedarf Kommandos an Schiebedach, Klimaanlage oder Fensterheber absetzen, alles im Relax-Modus.

Die mittlerweile auf allen Sitzen verfügbaren Rollgurte haben den Einsatzwert des 6.3 für Familien-Langstreckenfahrten deutlich erhöht. Gestützt auf die Mittelarmlehne geht es auf den Rücksitzen auch für sehr groß Gewachsene äußerst komfortabel zu. Platz für Kopf und Beine ist reichlich vorhanden, längere Pausen zum Neusortieren der Glieder sind auch für Passagiere der zweiten Reihe nicht erforderlich. 

In Summe betrachtet ist der 6.3er nach wir vor ein tolles Auto, das auch heute noch begeistert. Bilder von unserem 6.3er finden sich in der Fotogalerie.