Faszination der Form

Die Alfa Giulia gehört gewiss zu den Autos, die sich mir dank ihrer auffallenden Formgebung in meiner Jugend am deutlichsten einprägten. Da waren die chrom-eingefassten Doppelscheinwerfer vorne, die charakteristische Sicke im Kofferraumdeckel und vor allem der Innenraum, die Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen haben. Waren die Armaturenbretter bei den Opels und Fords in unserer Straße damals eher bieder gestaltet, hatte das Alfa Cockpit echten Pep. Und dann ragte da dieser Schalthebel mit seinem Holzgriff derart auffordernd in den Fahrgastraum, dass ich es damals nicht erwarten konnte, endlich mal selbst Hand anzulegen. Das Holzlenkrad, die verkleidete Mittelkonsole und die großen, ebenfalls mit Chrom umrandeten Rundinstrumente komplettierten den Eindruck von einem Fahrzeug aus der Oberklasse in einer Mittelklassekarosserie.

Ich wusste damals wenig von Verarbeitungsqualität, Rost und anderer Unbill, die zu den Schattenseiten der Giulia zählte und heute noch zählt. Von haben wollen war auch noch lange keine Rede, eher davon, einmal mitfahren zu dürfen, das Auto von innen und in Fahrt zu erleben. Es machte schon jede Menge Spaß, sich das sonore Röhren aus dem schrägen Auspuff anzuhören und die Giulia davon fahren zu sehen. Wie würde sich erst eine Mitfahrt emotional gestalten?

Heldin des Alltags

Mittlerweile hatten wir schon einen Schneewittchensarg, einen 6.3er Benz und einen Mustang Convertible, allesamt eher Luxusgefährte im Europa der 60er und 70er Jahre. Der Sinn stand mir nunmehr nach einem Alltagsklassiker - einem Klassiker des früheren Alltags, um genau zu sein. Die Giulia, die wäre genau die Richtige. Das Angebot aus Italien und Deutschland ist groß, Leichen und Rostlauben ohne Ende, aber auch ein paar echt gute Stücke. Viele davon tiefergelegt, mit 2 Liter Motoren ausgestattet, Breitreifen und anderem Beiwerk, das meinen Gefallen nur bedingt findet.

Aber halt - wo sind denn bei den Angeboten im ordentlichen Zustand plötzlich die Doppelscheinwerfer hin? Wo ist die Verkleidung der Mittelkonsole? Und was soll bei anderen diese hässliche Plastikschnauze vorne und wo genau ist bei denen die Sicke im Kofferraumdeckel, das sogenannte Knochenheck? Wie jetzt, das gab es nie gemeinsam?
Aha, entweder cooler Look außen, also frühe Giulia, sogenannte Chrommodelle, und selbst bei denen waren die Doppelscheinwerfer der Super vorbehalten. Oder eben peppiger Innenraum, den gab es aber erst ab 1974 in der Nuova Super, die allerdings mit allerhand Plastikzierrat an den Zeitgeschmack der 70er Jahre angepasst wurde. Die charakteristische Sicke im Heckdeckel fiel der Modellpflege dann auch gleich zum Opfer. Umpf.

Was jetzt? Ich wollte doch eine richtig schöne Giulia, mit reichlich Chrom dran und innen mit dem ganzen Holz (oder jedenfalls dem Zeug, das so aussieht wie Holz). Die Hoffnung war nicht besonders groß das Passende zu finden. Ein paar Enthusiasten haben sich über die Zeit aber offenbar doch die Mühe gemacht Nuovas mit dem schönen Innenraum einen äußerlichen Rückbau auf ein Chrommodell angedeihen zu lassen. Wirtschaftlich mag das nicht besonders sinnvoll sein, weil Giulias damals wie heute nicht in der finanziellen Oberliga des Oldtimerhandels angesiedelt sind. Aber wenn das schon mal einer gemacht hat, dann ist das zumindest eine sehr vielversprechende Basis für das Objekt meiner Wahl. Ja, und die Farbe, die ist auch noch ganz wichtig bei einer Giulia. Sie muss einfach Alfa-rot sein. Nicht, dass ich wirklich auf rote Autos stehen würde, eher im Gegenteil. Aber die Giulia, die muss rot sein.

Vor einiger Zeit und nach langer Suche habe ich so einen Wagen gefunden. Eigentlich eine Nuova von 1977, getrimmt auf Giulia Super aus den frühen 70ern. Inklusive Knochenheck, versteht sich. Ein Duo bestehend aus Vater und Sohn hat sich in Holland hingestellt und eine ziemlich mitgenommene Nuova generalsaniert. Innen original erhalten mit schwarzem Kunstleder, einem Schiebedach, rot lackiert, mit Campagnolo Felgen ausgestattet und mit dem originalen, gegenüber dem 1300er etwas zugkräftigeren 1.6 Liter Motor auch noch richtig motorisiert. Wow - genau mein Ding.

Home at last

Auf nach Holland also, den Jungs die Giulia abkaufen und rein ins Vergnügen. Nur die Behörde, die fand dann doch, dass der Sound der Giulia etwas zu kernig sei und überhaupt wären die eingebauten K&N Luftfilter historisch fragwürdig. Dann halt raus mit den beiden - waren eh schon ein bisserl hinüber - und den Elefantenrüssel, sprich Original-Luftfilter, einbauen, der gleich mal die rechte Flanke des Motorraums einnimmt. Immerhin war's dann aber auch gut für die Männer vom Amt und der Spass konnte wirklich beginnen.

Die Giulia ist eine angenehme Begleiterin auf kürzeren und längeren Strecken. Sie hat keine besonderen Allüren. Selbst an das mitunter aufkommende Gefühl, dass das Heck irgendwo abgekoppelt vom Rest der Karosserie rumfährt, gewöhnt man sich bald. Liegt am Fahrwerk, ist halt so. Die Sitze sind hinten und vorne bequem, hinten trägt nicht zuletzt die Mittelarmlehne auf längeren Fahrten zum angenehmen Reisen wesentlich bei. Die Sitzposition ist für den Fahrer ideal. Das Holzlenkrad liegt gut in der Hand, der Schalthebel springt einem förmlich entgegen. Das 5-Gang Getriebe darf allerdings zu den Archillesfersen der Giluia gezählt werden, es erfordert eine ruhige Hand. Hektische Gangwechsel, gleich ob rauf oder runter, quittiert das Getriebe mit Geräuschen, die nichts Gutes erahnen lassen - insbesondere, wenn der zweite Gang in das Manöver involviert ist.  Mit gleichmäßiger, gefühlvoller Ausführung der Schaltvorgänge lassen sich solche Erfahrungen aber schnell abstellen. Auch 1. Gang und Rückwärtsgang wollen gefühlvoll eingelegt werden.

Einmal warm gelaufen beschleunigt der 1600er gut, wenn auch nicht sensationell. Für raschen Fahrbetrieb selbst mit 4 Personen reicht das allemal. Vor Besuchen auf der Rennstrecke empfiehlt sich dann allerdings doch die Konsultation einer im Umbau auf 2 Liter kundigen Werkstatt. Das Schiebedach in unserer Giulia ist meist offen, weil insofern gut konstruiert, als es kaum zu Verwirbelungen im Fahrzeug kommt. Aus Sicht der Elektrik bedurften die Blinker einmal einer gewissen Aufmerksamkeit, ansonsten war stets alles intakt.

Die Giulia im Oldtimer-Rallye Einsatz

Die Giulia ist inzwischen alternierend mit dem Volvo als unser Rallye-Fahrzeug auf anspruchsvollen Oldtimerveranstaltungen im Einsatz. Wir mögen vor allem Veranstaltungen, die Wettkampf und Spaß gleichermaßen groß schreiben. Um auf sportlich ausgelegten Fahrten mit Schnittprüfungen nicht völlig im zeitlichen Nirvana herumzugurken, haben wir uns vor allem einen Wegstreckenzähler angeschafft. Dies war für die Giulia auch unbedingt erforderlich, weil der Tageskilometerzähler zum einen deutlich von den kalibrierten Straßenkilometern (z.B. auf der Autobahn) abweicht und sich zweitens nicht zurücksetzen lässt. Einer der Vorbesitzer hat offensichtlich einmal zu forsch am Stellrad gedreht und dabei die Welle innerhalb der Tachoeinfassung abgerissen.

Der Einbau des Wegstreckenzählers war gar nicht so einfach wie gedacht. Hinter den Instrumenten ist der Platz für ein T-Getriebestück in der Tachowelle reichlich knapp, soll die Welle nicht dauerhaft geknickt werden. Und dann ist da noch die Frage, wohin mit dem Apparat, wenn ihn Fahrer und Beifahrer gleichermaßen gut ablesen können sollen. Die Brutalo-Methode, schnell ein paar Löcher in das Armaturenbrett oder in die Mittelkonsole bohren war für uns keine Option, schließlich fahren wir dann und wann auch ohne den ganzen Schnick-Schnack. Dann möchten wir aber nicht auf die öden Löcher oder ein seltsames Gestell starren. Also haben wir ein wenig rumgetüftelt und eine Montagemöglichkeit unter der Abdeckung neben dem Handschuhfach nahe der Mittelkonsole gefunden. Diese Abdeckung ist mit wenigen Schrauben hinter dem Armaturenbrett befestigt, lässt sich also leicht ab- und wieder anmontieren. Darunter bleibt jedenfalls genügend Platz für ein einfaches Gestellt, in das der Wegstreckenzähler bei Bedarf eingeklinkt werden kann. So ist die Giulia bei abmontierter Rallyegerätschaft völlig unversehrt anzusehen. Passt.

Auf den Rallyes haben wir mit der Giulia in der Regel ein Alleinstellungsmerkmal. Nur auf besonders italophilen Veranstaltungen treffen wir Verwandte unseres Modells. Meist sind eher die Käfer, MGs, Pagoden und selbst die E-Types gehäuft anzutreffen. Interesse bei Zusehern und Teilnehmern löst die Giulia allemal aus, vor allem in der Generation 50+. Die Giulia ist sehr übersichtlich, was sie für den Einsatz auf Rallyes prädistiniert. Rückwärtseinparken als Sonderprüfung ist durch die Sicke im Kofferraumdeckel beispielsweise ideal, die eignet sich hervorragend als Peilungshilfe. Gleichmäßiges Fahren funktioniert mit der Giulia auch in allen üblichen Geschwindigkeiten (30-50km/h) sehr gut, orientiert sich aber am besten am Drehzahlmesser, weil der im Gegensatz zum Tachometer nicht rumhüpft.

Einzige Schwäche der Giulia im Rallye-Einsatz ist wieder das Getriebe. Mitunter passt unsere Abschätzung zwischen verbleibender Zeit und Entfernung zum Lichtschranken nicht ideal, dann sind wir zu früh oder eben zu spät dran. In beiden Fällen empfiehlt sich ein rascher Gangwechsel, entweder zurück auf die Erste oder rauf in den zweiten Gang. Beides ist mit dem Giulia-Getriebe nicht wirklich gut vereinbar.

Inzwischen haben wir mit der Giulia schon einige Stockerlplätze erringen können, zwei erste, einen zweiten und einen dritten Platz, zweimal in der Klassenwertung, einmal im Prolog einer Gesamtwertung.

Ein paar Fotos von einem Ausflug mit unserer Giulia finden sich hier.

Abschied von der Giulia...

Schweren Herzens haben wir uns im Herbst 2018 von unserer Giulia getrennt. Wir freuen uns jedoch, dass sie von einem würdigen Guilia-Liebhaber übernommen wurde und ab sofort in Deutschland ihre Runden dreht. Viel Freude damit.